Klassische Konditionierung: Löschung von Verknüpfungen

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Manchmal lernen unsere Hunde im Alltag ganz nebenbei Dinge, die wir so nicht beabsichtigt haben.

Sie schlagen bei jeder Türklingel Alarm, rasten bei Hundebegegnungen an der Leine aus oder fürchten sich vorm Tierarzt.

Kein Meckern, Betteln, Bestechen, Belohnen, Bestrafen oder Bestehen auf Gehorsam scheint den Hund davon abhalten zu können.

Warum versagen die üblichen Trainingsmethoden hier?

Ganz viele dieser Verhaltensweisen gehen nicht auf belohntes Verhalten, sondern auf eine klassische Konditionierung zurück.

Solche Lerneffekte wirst Du nachhaltig nicht mit Lob und Strafe, sondern auch nur per klassischer Konditionierung wieder los:

  • Wenn ein erlernter Auslöser bedeutungslos wird, weil er plötzlich kein Ereignis mehr voraussagt, sprechen wir von Löschung.
  • Wenn ein erlernter Auslöser mit einer ganz neuen Erwartungshaltung verknüpft wird, sprechen wir von Gegenkonditionierung.

Was passiert bei der klassischen Konditionierung?

Bevor wir uns damit befassen, wie wir so eine Verknüpfung wieder auflösen, musst Du verstehen, warum und wie Dein Hund überhaupt auf diese Auslöser reagiert.

Bitte lies dazu den ausführlichen Beitrag über klassische Konditionierung!

Du kennst bestimmt mindestens eine dieser Reaktionen von Deinem eigenen Hund:

  • Übertrieben explosive Reaktion auf Hundekontakt an der Leine
  • Bellen bei jeder Türklingel
  • Angst vor eigentlich ziemlich harmlosen Situationen oder Geräuschen
  • Angst vorm Tierarzt
  • Erregung beim Anblick bestimmter Dinge (Balli!)
  • Meidendes Verhalten als Antwort auf Hörzeichen und Training
  • Übertriebene Freude bei Begrüßungssituationen
  • Aufregung beim Autofahren

Dein Hund reagiert, weil sein Gehirn ganz unterbewusst auf manche Reize hin ein bestimmtes Ereignis erwartet.

Es versetzt Deinen Hund schon vorbereitend ganz reflexartig und unwillkürlich in den entsprechenden Erregungszustand:

Die Türklingel kündigt Eindringlinge an. Wenn der Hund Besucher aufregend findet, findet er auch schon die Türklingel aufregend.

Eine Hundesichtung führt oft zu einem Leinenruck durch den Halter. Selbst wenn Dein Hund andere Hunde eigentlich mag, lernt er schnell bei Begegnungen an der Leine an die Decke zu gehen, weil das eine Bestrafung ankündigt.

Der Tierarzt kündigt unliebsame Prozeduren an. Wenn Dein Hund sich davor fürchtet, findet er auch schon den Parkplatz vom Tierarzt nicht sehr einladend.

Gegen klassische Konditionierung kann man sich nicht wehren.

Das Lernen solcher Assoziationen passiert passiv und unfreiwillig.

Ein konditionierter Auslöser ist kein Hörzeichen wie „´Sitz“ und „Platz“, bei dem der Hund freiwillig ein Kunststück vorführt, weil es sich lohnen könnte.

Auf einen konditionierten Reiz hin kann Dein Hund gar nicht anders als reagieren.

Wenn wir die Reaktion auf so einen erlernten Reiz nachhaltig los werden wollen, reicht es nicht nur am sichtbaren Verhalten herumzudoktern.

Nein, hör jetzt auf Dich aufzuregen!“ bringt nichts, wie Du wahrscheinlich aus eigener Erfahrung weißt.

Und auch das tollste „Du bist so tapfer, nimm eine Süßigkeit für gutes Benehmen“ hat noch keinem Hund die Angst vorm nächsten Tierarzttermin und keinem Kind die Angst vorm Zahnarzt genommen.

Erst die Erfahrung, dass eigentlich gar nicht das schlimme erwartete Ereignis eingetreten ist, sorgt für Entspannung.

Denn hier sind noch andere Lernmechanismen als Belohnung und Strafe am Werk.

Nehmen wir an Dein Hund regt sich auf, wenn es an der Tür klingelt. Er benimmt sich ungehalten und bellt.

An seinem Benehmen rumzunörgeln hat Dich bis jetzt nicht weit gebracht, oder?

Aber keine Sorge, es gibt einen viel effektiveren Weg das Problem zu lösen:

Wir müssen die unbewusste Erwartungshaltung im Hundekopf ändern.

Wir müssen dem konditionierten Reiz ‚Türklingel‘ die erlernte Bedeutung nehmen bzw. ihm eine ganz neue Bedeutung geben.

Nur so erreichen wir, dass auch nachhaltig die Aufregung und damit ganz automatisch auch das unerwünschte Verhalten verschwindet.

Löschung von Assoziationen

Zur Löschung (Extinktion) einer Assoziation im Hundehirn kommt es, wenn nach einem konditionierten Reiz  langfristig nicht mehr das erwartete Ereignis eintritt.

Ein ehemals konditionierter Reiz verliert durch Löschung seine Vorhersagekraft.

Achtung!

Wenn wir ein Problemverhalten nicht mehr belohnen und es deshalb verschwindet, nennt man das dummerweise auch „Löschung“.

Das hat mit der Löschung von Erwartungshaltungen aus der klassischen Konditionierung nichts zu tun!

Wir lassen hier nicht wie beim operanten Löschen eine Belohnung weg. Denn ein konditionierter Reiz löst gar kein belohntes Verhalten aus.

Beim klassischen Löschen ändern wir Ereignisfolgen und verändern damit eine unbewusste Erwartungshaltung.

Keine Sorge, ich kann mich gut erinnern wie verwirrend das am Anfang klingt bis man seinen Kopf da einmal drum gewickelt hat!

Wie läuft eine Löschung ab?

Löschung ist eigentlich recht einfach:

Stell Dir vor Du könntest Dir ab morgen von Geld nichts mehr kaufen und alles wäre kostenlos. Ziemlich schnell würdest Du aufhören Dich über Geldgeschenke zu freuen.

Oder stell Dir vor der Eiswagen würde Kartoffeln statt Eis verkaufen. Ziemlich schnell würden alle Kinder der Nachbarschaft aufhören sich über das Gebimmel des nahenden Wagens zu freuen.

Als Ivan Pawlow aufhörte seine Hunde auf einen Glockenton hin zu füttern, ließ auch ihre Reaktion auf den Glockenton irgendwann nach. Sie speichelten nicht mehr und erwarteten kein Futter mehr.

Wenn ein erwartetes Ereignis oft genug ausbleibt, vergisst der Körper zu reagieren. Die Verknüpfung mit einem Reiz wird gelöscht.

Wenn fortan nichts mehr passieren würde, wenn es an der Tür klingelt (keiner steht auf, keiner öffnet die Tür, etc.), dann würde irgendwann auch die Erwartungshaltung beim Hund nachlassen.

Er würde irgendwann aufhören auf die Türklingel zu reagieren.

Die alte Assoziation wäre gelöscht und die Türklingel würde keine emotionale Reaktion und auch kein gestresstes Verhalten mehr auslösen.

Bei Ereignisfolgen außerhalb der eigenen Kontrolle hast Du allerdings keinen Einfluss darauf, ob ein Ereignis eintritt oder nicht.

Löschung alleine ist oft nicht praktikabel

Oftmals entstehen Assoziationen im Alltag ganz nebenbei, weil ein Reiz eben tatsächlich zuverlässig ein Ereignis voraussagt:

  • Blitz führt zu Donner.
  • Wespen stechen manchmal.
  • Ihr fahrt mit dem Auto an spannende Orte.
  • Du öffnest nun mal die Tür, wenn es klingelt.
  • Du verkrampfst und zuppelst an der Leine, wenn Du mit Deinem Leinenrambo einem anderen Hund begegnest.
  • Du schneidest die Krallen mit der verhassten Krallenzange.
  • Der Tierarzt wird den Hund irgendwann mal wieder spritzen müssen.
  • Ihr werdet wieder einem aufdringlichen Fremdhund begegnen.

Der Hund liegt mit seiner Einschätzung gegenüber diesen Reizen also ziemlich richtig.

Hier ist Löschung als einzige Methode unangebracht, weil sie in der Realität nicht anzuwenden ist.

Du kannst nicht immer verhindern, dass ein erlernter Reiz weiterhin ein bestimmtes Ereignis ankündigt.

Ein weiteres Problem:

Gerade bei konditionierten Angstreaktionen reicht oft ein einziges schlechtes Erlebnis, um auch ohne weitere Paarung mit dem Ereignis zu einer nachhaltigen Phobie zu führen.

Du kannst lange Jahre von keiner Wespe mehr gestochen worden sein und trotzdem noch Angst vor den Tieren haben. Löschung funktioniert hier nicht.

Löschung funktioniert dann am besten, wenn Du den Auslöser für eine Reaktion beim Hund kontrollieren und verhindern kannst.

Wenn Du selbst der Verursacher der zugrunde liegenden Konditionierung bist, kannst zum Beispiel ganz bewusst die Ereignisfolge ändern:

  • Du kannst „Eichhörnchen!“ sagen und dann nichts passieren lassen.
  • Du kannst bewusst damit aufhören Deinen Hund zu rucken, wenn ihr Hunden begegnet.
  • Du kannst den Hund ins Auto laden und an keinen spannenden Ort fahren.

Das funktioniert allerdings nur dann so richtig gut, wenn Du das konsequent durchziehen kannst.

Löschung wird immer erfolgreicher…

  • …je länger die tatsächliche Lernerfahrung zurück liegt,
  • …je weniger dieser unerwünschten Lernerfahrungen der Hund gemacht hat,
  • …je häufiger der konditionierte Reiz nun ohne das erwartete Ergebnis präsentiert wird,
  • …je schwächer die ausgelöste Emotion ist.

„Wehret den Anfängen“ geht immer leichter als das Aufbrechen alter Lernerfahrungen!

Ein Hund, der erst kürzlich gelernt hat sich milde über etwas aufzuregen, wird nach ein paar neutralen Erlebnissen nicht mehr reagieren.

Wenn Du Deinen Hund beim Bürsten gelegentlich versehentlich kneifst und er sich milde darüber aufregt wird er durch unbeirrtes vorsichtiges Weiterbürsten seine Lernerfahrung vermutlich direkt wieder vergessen.

„Direkt wieder in den Sattel steigen“ sorgt dafür, dass eine gerade gemachte Erfahrung direkt wieder vergessen wird.

Ein Hund, der schon lange eine heftige Reaktion auf einen zuverlässigen Auslöser zeigt, wird sich mit Löschung schwerer tun.

Ein Hund, der schon seit der Welpenspielgruppe von anderen Hunden gemobbt und bedrängt wird, lernt durch ein paar neutrale Begegnungen nicht seine Ängste loszuwerden.

Auch bei positiven Gefühlen wirkt oft schon der erlernte Reiz selbst stark belohnend, weil er gern gefühlte Emotionen auslöst. Das erschwert eine Löschung natürlich.

Bei vielen Hunden kann man mit ungeahnt vielen „Leerclicks“ arbeiten, ohne dass die positive Assoziation „Marker = Vorfreude“ gelöscht würde. Das Training und der Marker selbst sind zum Motivator geworden, der die Assoziation aufrechterhält.

Auch bei so genannten „Balljunkies“ weiß man, dass Du den Ball nicht einfach ins Regal legen kannst bis der Hund den Anblick für neutral befindet.

Der pure Anblick des geliebten Spielzeugs löst eine viel zu starke körperliche Reaktion aus, um einfach nur gelöscht zu werden. Die intiale positive Stimmungslage beim Anblick von Bällen ist in eine Obsession umgeschlagen.

Und eine Sucht und Suchtverhalten kann man nicht so einfach „vergessen“, indem man auf Entzug gesetzt wird.

Auch Du kennst Dinge in Deinem Alltag, die auch ohne weitere Verknüpfung mit einem Ereignis eine nachhaltige Wertigkeit für Dich besitzen:

Ein mit positiven Gefühlen verbundenes Lied oder die Vorfreude aufs Kino lassen nicht nach, obwohl Du jahrelang am Kino vorbei gefahren bist oder das Lied ständig im Radio gespielt wird.

Verknüpfungen bleiben manchmal trotz idealer Löschungsvoraussetzungen lange bestehen.

Eine bewusst geplante Gegenkonditionierung ist deshalb immer erfolgversprechender als ein reiner Versuch eine Assoziation durch „Aussitzen“ zu löschen.

Löschung führt nicht immer zur Verhaltensänderung

Ein oft unbeachteter Nebeneffekt bei der Löschung ist der lohnenswerte Beigeschmack vieler Verhaltensweisen.

Denn natürlich zeigt Dein Hund irgendein Verhalten, wenn eine konditionierte emotionale Reaktion von seiner Festplatte abgerufen wird.

Das ist ja genau das, was wir ändern wollen.

Und dieses Verhalten kann durch Belohnung und Bestrafung geformt worden sein.

  • Angst führt zu Flucht. Flucht sorgt für Überleben. Überleben fühlt sich gut an.

    Der Drang eine Situation zu verlassen bleibt bestehen, obwohl der Hund keine Angst mehr hat.

  • Aufregung führt zu Bellen. Bellen hält Feinde auf Abstand. Das fühlt sich gut an.

    Obwohl Du Deinen Hund bei Begegnungen nicht mehr an der Leine ruckst, bleibt der eine oder andere Beller trotz Löschung erhalten.

  • Aufregung vor dem Spaziergang führt zu rumwuseln. Rumwuseln führt zu Gassi.

    Rumwuseln ist auch in Zukunft erfolgreich, wenn man spazieren gehen möchte.

Obwohl hier nach einer erfolgreichen Löschung eigentlich keine emotionale Reaktion mehr ausgelöst wird, bleibt der Drang ein spezielles Verhalten zu zeigen durch Selbstbelohnung und Aberglauben noch lange als Relikt erhalten.

Und viele Verhaltensweisen werden einfach auch zur (schlechten) Angewohnheit, wenn man sie lange genug einstudiert hat. Hier braucht es manchmal eine gute Beobachtungsgabe, um zu sehen, ob der Hund sich tatsächlich noch aufregt.

Auch hier ist es zielführender von vorn herein durch  Gegenkonditionierung und dem Einstudieren von operantem Alternativverhalten gezielt für ein neues Verhalten zu sorgen.

Löschung durch Reizüberflutung?

In der Humantherapie hilft Konfrontationstherapie manchmal beim sehr kontrollierten Einsatz und extrem guter Vorbereitung. Der Patient wird mit einem Angstauslöser (Fahrstuhl, Spinne,…) in ganz kleinen Dosierungen konfrontiert und soll so lange in der Situation bleiben bis er sich mithilfe vorher mühsam erlernter Techniken entspannt.

Dadurch wird der Patient in eine Situation gebracht, die er sonst nicht freiwillig aufsuchen würde, und kann so überhaupt erst bemerken, dass seine Ängste irrational sind. Mit etwas Glück erlischt seine emotionale Reaktion.

Den Hund in eine Art erzwungene Konfrontationstherapie zu zerren, geht allerdings oft nach hinten los.

Wenn Du den Hund gegen seinen Willen zum Kontakt mit verhassten oder beängstigenden Ereignissen zwingst, ist das theoretisch ein Versuch eine Verknüpfung zu löschen oder vorzubeugen.

  • Schau hier, ist doch gar nicht so schlimm auf dem Schützenfest, oder?
  • Auf dem Hundeplatz lernt er andere Hunde zu ignorieren!
  • Wenn ich tausendmal selbst klingele, wird er das irgendwann ignorieren.
  • Wir gehen jetzt in die Rüpelgruppe, da lernt er mit Hunden zu kommunizieren.
  • Der muss sich jetzt aber anfassen lassen.

Gerade viele TV-Trainer haben die „Reizüberflutung“ leider in den Augen der Öffentlichkeit als probates Trainingsmittel publik gemacht.

Einen Hund in eine Ecke zu drängen und so lange mit seinen Triggern zu konfrontieren und zu piesacken bis er aufhört zu reagieren, ist das Gegenteil von gutem Training!

Die Methode ist hochgradig unmoralisch, aber natürlich publikumswirksam:

Klar macht das dem Hund keinen Spaß, wirkt aber auf den ersten Blick oft erfolgreich. Der Hund hört nach initialer Panik ziemlich schnell auf zu reagieren.

Und der Zweck heiligt doch die Mittel, oder?

Nein.

Vor allem tritt der gewünschte Lerneffekt oft gar nicht ein.

Der Reaktionswille des Gehirns und der Sensorik ist einfach nur kurzzeitig ausgebrannt, der Hund ergibt sich scheinbar hilflos in sein Schicksal. Man nennt das Reaktions-Ermüdung.

Du kennst das, wenn Du zu lange in ein helles Licht siehst. Für kurze Zeit danach bist Du blind und siehst nur helle Punkte. Hier sind die Sinneszellen in Deiner Netzhaut überstrapaziert worden und sind kurzzeitig funktionsunfähig.

Obwohl Du kaum noch etwas sehen kannst und Dich erst wieder sammeln musst, lernst Du ganz nebenher beim nächsten Mal schneller zu reagieren und den Lichtstrahl besser zu vermeiden. Hier wurde also nicht Deine Meidereaktion auf „direktes Licht“ gelöscht, sondern sogar bekräftigt.

Ein Beispiel hat fast jeder schon mal am eigenen Hund gesehen:

Wenn man seinem Hund ohne Vortraining einfach Pfotenschuhe, einen Beißkorb, ein Geschirr oder einen Hundemantel anzieht, wird er vermutlich zunächst versuchen diese Kostümierung abzustreifen. Nach einer Weile lässt die Reaktion dennoch nach.

Du kannst jetzt von außen nicht unbedingt sehen, ob Dein Hund sich daran gewöhnt hat  oder ob nur kurzfristig sein Reaktionswille gegenüber dem ungewohnten Hautgefühl ermüdet ist und er ratlos aufgibt.

Erst beim nächsten Anziehversuch kannst Du sehen, ob der Hund sich die Situation als neutral oder als ziemlich blöde gemerkt hat.

Ein gechillter Hund wird das locker verkraften und beim nächsten mal nicht weiter reagieren. Er hat verstanden, dass Anziehen nix Schlimmes bedeutet.

Ein impulsiver und skeptischer Hund wird sich beim reinen Anblick seines Geschirrs hinterm Sofa verkrümeln. So ein Hund wird das Anziehen als traumatisch in Erinnerung behalten und sich zunehmend in seine Furchtreaktion reinsteigern.

Das Kleidungsstück selbst ist zum konditionierten Reiz geworden und jedes weitere Anziehen ist eine erzwungene Konfrontation und eine weitere unglückliche Lernerfahrung.

Besser und fairer wäre es gewesen gleich von vornherein mit dem Hund zu üben diese Dinge gut zu finden oder ihm die Sache zumindest schön zu füttern statt lachend daneben zu stehen, oder?

Erzwungene Konfrontation geht vor allem bei Problemverhalten  in fast allen Fällen gewaltig nach hinten los.

Statt den Hund zu beruhigen sorgt so eine ‚Therapie‘ meistens für eine gefährliche Eskalation bei der nächsten Konfrontation mit dem Reiz.

Ich wiederhole mich, ich weiß:

„Da muss er jetzt durch!“ ist im Alltag nicht immer vermeidbar, weder bei uns noch beim Hund.

Aber als bewusste Trainingsmethode sollte eine erzwungene Konfrontation keinen Platz im Hundetraining haben. In vielen Fällen zeugt das schon von ziemlicher Herzlosigkeit dem Hund über.

Fürs Hundetraining viel besser geeignet sind Gegenkonditionierung und systematische Desensibilisierung, die ein strukturiertes Heranführen an eine Situation ermöglichen.

Das Gehirn wehrt sich gegen Löschung von erlernten Assoziationen

Das Gehirn will nicht „entlernt“ werden.

Lernen hat Energie gekostet.

Erlernte Reaktionen und Verhaltensweisen werden nur vergessen, wenn sie absolut keinen Sinn mehr machen.

Das Gehirn hinterfragt also vor einer Löschung erst ausgiebig, ob eine gelernte Assoziation wirklich, wirklich, wirklich nicht mehr gebraucht wird.

Auch wenn kein sichtbares Verhalten mehr abrufbar ist, bleiben die entsprechenden Strukturen auf neurologischer Ebene oft lange erhalten.

Stell Dir das wie eine Art Software im Kopf vor, die nicht mehr genutzt wird, aber trotzdem installiert bleibt.

Das Reaktionsvermögen wird nur gehemmt, kann aber bei Bedarf noch für lange Zeit wieder reaktiviert werden.

Lernen hinterlässt immer permanente Spuren im Gehirn!

Solche Effekte im Training entmutigen einen deutlich weniger, wenn man sie versteht und kommen sieht:

Erneuerung von gelöschten Reaktionen

Bei der Erneuerung (Renewal) wehrt sich das Gehirn standhaft gegen eine Löschung, wenn Lernen, Löschung und anschließende Situationen nicht im selben Kontext stattfinden.

Wenn Dein Hund daheim nervös auf Autos reagiert und Du ihm im gemeinsamen Urlaub (wenn Du „endlich Zeit für Training“ hast) beibringst entspannt zu bleiben, wird er daheim oder an einem ganz neuen Ort vermutlich wieder auf Autos reagieren.

Das Verhalten ist wie aus dem Nichts plötzlich wieder da!

Denn das Gehirn erkennt das Muster und testet vor der Löschung, ob es vielleicht doch noch Bedingungen gibt, unter denen die einmal erlernte Assoziation vielleicht nützlich sein könnte.

Deshalb reicht auch ein reines Üben nur mit dem Hundetrainer wenig. Und auch ein Training in den eigenen vier Wänden mildert die Reaktion unter echten Bedingungen nicht ab.

Der Hund wird schnell lernen sich in kontrollierten Trainingssituatiuonen willig von Fremden anfassen zu lassen. Beim Hundefriseur oder Tierarzt flippt er dann trotzdem wieder aus.

Denn das Gehirn erkennt schnell dieses Muster und sagt „Ah, Du willst also nur für diese Situation ein neues Programm installieren.“

Übe also überall dort, wo der Hund die erlernte Reaktion tatsächlich zeigt!

Auch nach einem Umzug an einen neuen Ort oder nach anderer Veränderungen im Leben können kurzzeitig alte Programme im Gehirn wieder aktiviert werden.

Beschleunigte Wiederinkraftsetzung

Man weiß, dass es bei scheinbar „gelöschten“ Assoziationen zu einer besonders beschleunigten Wiederinkraftsetzung (Rapid reacquisition) kommt, wenn eine Lernerfahrung sich wiederholt.

Das Gehirn hat die Assoziation nur eingemottet, kann sie aber schnell wieder reaktivieren, wenn es das entsprechende Muster erkennt.

Ein frustrierendes Beispiel, dass viele von uns kennen, sind unliebsame Hundebegegnungen.

Wenn der eigene Hund seine Artgenossen nicht so toll findet, ist man oft lange Monate damit beschäftigt ihm beizubiegen, dass andere Hund echt voll unspannend sind und er nichts zu befürchten hat.

Wenn jetzt aber wieder ein Hund näher kommt als Euch lieb ist oder Dein Hund gar bedrängt oder gebissen wird, fühlt es sich an als wäre Euer gesamter Trainingserfolg zunichte gemacht worden.

Das Gehirn Deines Hundes sagt „Wusst ich’s doch!“ und holt die „entlernte“ alte Reaktion des Hundes wieder aus der Mottenkiste.

Auch bei anderen Trainingsempfehlungen verhindert dieser Effekt oft nachhaltig eine Löschung, vor allem bei sehr intensiven Gefühlslagen:

Du kannst noch so oft an der Tür läuten, ohne dass da jemand steht. Wenn doch ab und an eine echte Person läutet, bleibt die Assoziation bestehen.

Du kannst dem Hund tausendmal zeigen, dass Krallen schneiden nicht schlimm ist. Wenn Du ihm doch irgendwann wieder versehentlich wehtust, ist die alte Assoziation sofort wieder da.

Spontane Erholung

Selbst wenn alles optimal läuft, kann es zu einer spontanen Erholung von „entlernten“ Assoziationen kommen.

Eine Weile nachdem das Verhalten gelöscht wurde, tritt es ohne Grund und ohne Vorkommnis plötzlich wieder auf.

Dein Hund war doch so entspannt? Warum reagiert er jetzt wieder?

Ganz einfach:

Das Gehirn probiert an einer erlernten Assoziation festzuhalten. Die neu erlernte Unsinnigkeit wird vor der Löschung einer Assoziation ausgiebig hinterfragt.

Jetzt? Jetzt vielleicht? Wirklich nicht?

Und obendrein handelt es sich bei Neuronen und Synapsen ja um hochkomplexe Stromleitungen im Gehirn. Da passieren auch ohne Intention mal harmlose „Fehlzündungen“.

Spontane Erholung hat keinen Auslöser, Du machst alles richtig.

Bei jedem Löschungsdurchgang wird so eine spontane Reaktion unwahrscheinlicher und schwächer. Bis sie endlich weg ist.

Zusammenfassung

Löschung bei der klassischen Konditionierung passiert, wenn ein konditionierter Reiz plötzlich keine Vorhersage mehr erlaubt über ein Ereignis.

Löschung ist allerdings im Hundealltag selten wirklich anzuwenden.

Denn es sind ja oft wirkliche Muster, die überhaupt zum Erlernen der Reaktion geführt haben.

Es steht nun mal jemand vor der Tür, wenn es klingelt.

Effektiver ist die bewusste Gegenkonditionierung. Hier wird nicht nur eine Erwartungshaltung gelöscht, sondern durch den Trainer aktiv eine neue Ereignisfolge geschaffen.

Trainingsprobleme solltest Du im echten Leben gemeinsam mit einem Hundetrainer lösen!

Du findest hier lediglich Erfahrungsberichte und allgemeine Informationen über Lernverhalten und die Theorie rund ums Lernen und Verhalten beim Hund. Du findest hier weder Ersatz für eine individuelle Beratung und natürlich auch keine individuell zugeschnittenen Trainingsempfehlungen für Deine einzigartige Situation.